In der Krise huldigt der Mensch dem Blockbuster. Was das bedeutet, weiß die Philosophie
Die Manager der großen Spielefirmen sind wie kleine Kinder – sie glauben an den Weihnachtsmann. Mit Recht: Laut einer Umfrage wollen 42 Prozent der volljährigen US-Amerikaner, das sind etwa 100 Millionen Menschen, ein Videospiel zum Weihnachtsfest verschenken oder geschenkt bekommen. Der Spielemarkt wird darum mit einer Blockbuster-Flut überschwemmt. Da sind »Uncharted 2«, die Fußball-Simulationen Fifa und PES und Fußball-Manager, es gibt ein neues Stalker-Spiel, eine Erweiterung für die Sims, das exzellente »Dragon Age Origins«, das spaßige »Borderlands«, »Assassin’s Creed 2« und so weiter.
»Call of Duty – Modern Warfare 2«, ein edel präsentiertes Schießspiel mit strunzdummer KI, hat trotz einer umstrittenen Metzelszene und diktatorischem Steam-Kopierschutz gar den besten Verkaufsstart eines Kultur-Produktes aller Zeiten hingelegt hat. Fast fünf Millionen Kopien wurden am ersten Tag verkauft und mal eben über 300 Millionen Dollar eingenommen – an nur einem Tag wohlgemerkt und nur in UK und USA. Bis Ende des Jahres wird sich diese Zahl verdreifacht haben, analysieren die Analysten.
In Zeiten der Wirtschaftskrise, Vorratsdatenspeicherung und Schweinegrippe vereinigt sich der solvente Teil der Menschheit vor der Rechenmaschine, um alles abzuballern, was sich ihm in den Weg stellt. Was würde Martin Heidegger dazu sagen? »Jeder ist der Andere und Keiner er selbst«, schreibt Heidegger und: »Die Phänomene der Versuchung, Beruhigung, der Entfremdung und des Sichverfangens charakterisieren die spezifische Seinsart des Verfallens. (…) Dieser Sturz aber bleibt dem Dasein (Dasein = Mensch, Anm. d. Red.) durch die öffentliche Ausgelegtheit verborgen, so zwar, daß er ausgelegt wird als ›Aufstieg‹ und ›konkretes Leben‹«.
Das gibt doch zu denken – am besten bei einer Ego-Shooter-Partie unterm Weihnachtsbaum.
Ein frohes Fest wünscht
Ihr Andreas Raabe
erschienen im kreuzer 12.09