erschienen im kreuzer 09.09
Als ich »The Secret of Monkey Island: Special Edition« zum ersten Mal starte, führe ich nebenbei gerade ein Telefongespräch. Man soll so was ja nicht machen – telefonieren und gleichzeitig Computer spielen –, das ist nämlich unhöflich. Aber was solls, habe ich gedacht, immerhin starte ich gerade die Neuauflage des wahrscheinlich besten Adventurespiels aller Zeiten. Als die Titelmelodie ertönt, dauert es nur Sekunden und vom anderen Ende der Telefonleitung tönt ein neidisches: »Oah! Spielst du etwa Monkey Island?« Ja, das tue ich. Nachdem im letzten kreuzer der neueste Teil der Monkey-Island-Reihe vorgestellt wurde, geht es hier um ein ganz anderes Kaliber: das Original. »The Secret of Monkey Island« ist der erste Teil der Reihe und stammt aus dem Jahr 1990. Fast 20 Jahre später hat sich ein großer Teil der Entwickler von damals zusammengefunden und den Klassiker bei unveränderter Story neu gezeichnet und neu vertont.
Man sagt, die meisten Leute erinnern sich genau daran, wo sie waren, als das World Trade Center zu Staub zerfiel. Ich wette, dass sich viele Menschen aus der Generation der jetzt Mittzwanziger bis -dreißiger genau daran erinnern, wo sie waren, als sie das erste Mal Monkey Island gespielt haben. Für viele war das Lucas-Arts-Adventure das erste Computerspiel überhaupt. Und so haben sich Szenen des Spiels eingebrannt: die tödlichen Piranha-Pudel, das Beleidigungsduell, die Ecke mit dem Kartenverkäufer auf Mêlée Island™, die SCUMM-Bar, der Lava-Fluss, in dem das Schiff von Geisterpirat LeChuck vor Anker liegt. Das alles ist wieder da, die Schauplätze wurden mit erstaunlicher Sensibilität neu gezeichnet und gerendert. Einzig Guybrush Threepwood, unser Held, sieht leider ein wenig missgestaltet aus.
Aber diese Musik! Mein Gott, ich bin wieder 12 und sitze mit meinem besten Kumpel vor dem nagelneuen IBM-386-PC im Schlafzimmer seiner Eltern. Wir haben uns Lakritzschnecken gekauft und zermartern uns die Hirne darüber, wie wir die Möwe vom Fisch weglocken, lachen über die Fettucini Brothers und verdrehen die Augen, als Guybrush und die schöne Elaine Süßholz raspeln.
Es gibt da zum Beispiel die Szene, in der Guybrush vom hinterlistigen Sheriff ins Hafenbecken geworfen wird. Blöd daran sind drei Dinge: Erstens ist das Bein unseres Helden per Seil mit einer schweren Goldstatue verbunden, weswegen er nicht auftauchen kann. Zweitens liegen auf dem Grund des Hafenbeckens zwar scharfe Äxte, Schwerter und sogar Scheren, doch das Seil ist zu kurz, um sie zu erreichen. Drittens überlegen zwei Piraten in einem minutenlangen Streitgespräch, ob sie ihr »scharfes Messer«, ein Beweisstück in einem Mordfall, nicht genau hier im Hafenbecken entsorgen sollten, um sich am Ende zu entscheiden, das Messer doch zu behalten – eine typische Monkey-Island-Verarsche.
Des Rätsels Lösung – das kann man bei einem 20 Jahre alten Spiel ruhig verraten – ist ein gleichsam erkenntnistheoretisch interessanter wie alberner Trick: Guybrush kann die schwere Goldstatue einfach einstecken. Sie landet im Inventar und der Möchtegernpirat kann aus dem Wasser klettern. Jeder – und ich meine: jeder – muss dieses Spiel besitzen.
Andreas Raabe