Durch die Ruinen des Schreckens

Manchmal muss man sich den großen Fragen des Lebens einfach stellen. Zum Beispiel der hier: Warum tue ich mir das alles eigentlich an? Warum laufe ich durch Ruinen voller Untoter und sterbe ohne Unterlass? Schreite durch eine Welt, in welcher der Terror hinter jeder Ecke lauert und jeder einzelne Gegner mich mit zwei Schwerthieben umhaut? In der jeder Schritt sorgsam geplant, jedes Duell perfekt ausgeführt werden muss, jeder Fehler brutal bestraft wird. Also warum?

»Dark Souls« ist ein japanisches Rollenspiel, pure Selbstqual, eine Herausforderung, die diesen Namen auch verdient, ein Spiel, das man getrost knallhart nennen kann. Belohnt wird der Spieler mit seltenem Erfolg in einer Schlacht, in der es um nichts geht, das wirklich wichtig wäre im Leben – außer, dass man Dinge geschafft hat, die einem beim ersten Anlauf unmöglich zu schaffen erschienen.

Wenn man stirbt in der gefährlichen Welt von »Dark Souls«, verliert man nicht nur alle gesammelten Seelenpunkte, eine Art Währung, mit der man Gegenstände und Aufwertungen kaufen kann. Man wird auch zurückgeworfen an die letzte Lagerstelle, teilweise weit entfernt vom Ort des Todes – und alle bis dahin getöteten Monster, Skelette und Schwertzombies sind wieder lebendig.

Also ziehe ich los mit meinem zerbrechlichen Krieger, hinein in die Ruinen des Schreckens. Ganz vorsichtig schleiche ich durch die Gänge. Ich halte meinen Schild hoch, versuche, jeden Gegner einzeln abzufangen, ihn auf Terrain zu locken, auf dem ich mir einen Vorteil verspreche. Langsam geht es voran. Hier ein Axtkrieger, dort ein Armbrustschütze. Niemals die Deckung vernachlässigen, immer sicher und gezielt zuschlagen, keinen einzigen Lebenspunkt verlieren. Und dann, zuversichtlich und voller Mut, stehe ich vor dem Boss. Bosse sind riesige Monster, Trolle oder Drachen, deren mächtige Schläge sofort töten. Er holt aus, ich rolle weg, bleibe an der Mauer hängen und Bamm! Alles zurück auf Start.

Im zwanzigsten Anlauf springt er mir wieder vor die Füße, Taurus, der Riesentroll, einer der ersten Bosse im Spiel. Auf einer schmalen Brücke haut er mit seiner Riesenkeule um sich. Ich versuche mich wegzurollen, entkomme seinem ersten Schlag, laufe um mein Leben hin zum Ende der Brücke, erklimme eine Leiter, stürze mich mit Gebrüll von oben auf ihn, versetze ihm zwei Schläge, rolle wieder, laufe um mein Leben – zurück zur Leiter, stürze mich auf ihn. Nur noch ein winziger Teil Lebensenergie ist übrig, wieder geht es hoch auf die Leiter und wieder ein todesmutiger Sprung. Blind hinein ins Verderben.

Du oder ich, Taurus. DU oder ICH! Und dann fällt der Troll mit einem Donnern nach hinten. Staub steigt auf. Die Welt hält an. Ich geh in die Knie vor der Playstation, meine zitternden Finger können den Controller nicht mehr halten und meine Lippen formen stumm drei Wörter: Triumph, Triumph, Triumph! Das Biest hat seinen Meister gefunden.

Anschließend fällt mir ein, was ich kurz zuvor im Internet gelesen habe: Taurus ist angeblich der leichteste Boss im ganzen Spiel, stand da. »Genießt diesen Kampf«, schreibt ein Kollege von Eurogamer.de. »So einfach wird es nie wieder.«

Andreas Raabe

erschienen im kreuzer 11.2011

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